Personalmangel in der Pflege: Auswirkungen und was Sie dagegen tun können
Eine halbe Million Pflegekräfte. So groß könnte die Versorgungslücke in Deutschland in zwölf Jahren sein. Das Institut der Deutschen Wirtschaft IWF schätzt, dass bis 2035 in der stationären Pflege rund 307.000 Pflegekräfte fehlen werden, insgesamt inkl. ambulanter Pflege dürften es 500.000 Fachkräfte sein. In den nächsten 30 Jahren wiederum steigt die Zahl der Pflegebedürftigen von derzeit fünf Millionen Menschen auf 6,8 Millionen bis 2055, so schätzt das Statistische Bundesamt.
Das Problem ist bekannt: Wir werden älter, brauchen mehr und längere Pflege; gleichzeitig gibt es zu wenige Pflegekräfte und die, die es gibt, leiden unter schwierigen Arbeitsbedingungen und scheiden oft lange vor der Rente aus.
Wir beleuchten in diesem Beitrag Ursachen und Auswirkungen des Personalmangels in der Pflege und zeigen Lösungsvorschläge und Auswege auf, mit denen Pflegeeinrichtungen der Situation im eigenen Haus begegnen können.
Was sind die Ursachen des Personalmangels in der Pflege?
Es gibt nicht die eine Ursache für den Mangel an Fachkräften im Pflegebereich – die aktuelle Situation ist das Ergebnis von politischen Fehlentscheidungen, dem demographischen Wandel und ungünstigem Personalmanagement.
Schlechte Arbeitsbedingungen in der Pflege
Der Pflegeberuf ist für viele, die ihn ausüben, mehr Berufung als Job. Die Menschen wollen pflegen und helfen – und genau das können sie im aktuellen System nicht. Stattdessen verbringen sie die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit bürokratischen Tätigkeiten statt mit der aktiven Betreuung von Patienten.
Die restliche Zeit ist zwar Dienst am Patienten; doch häufige Unterbrechungen und zu wenige Pflegekräfte für zu viele Patienten führen zu einer erheblichen emotionalen Belastung. Die Pflegenden haben keine Zeit, ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden und können oft nur das nötigste erledigen.
Physische und psychische Belastungen erschweren die Arbeit
Pflegekräfte tragen eine besondere Verantwortung für Gesundheit und Wohlbefinden derer, die sie versorgen. Oft müssen sie Entscheidungen unter Druck und in Notfallsituationen treffen, ohne Zugriff auf relevante Informationen zu haben.
Die Arbeit ist auch körperlich herausfordernd: schweres Heben, Stehen, Verharren in Zwangshaltungen und der Umgang mit potenziell schädlichen mikrobiologischen Stoffen schaden der Gesundheit der Pflegenden.
Fehlende Anerkennung auf allen Ebenen
Hinzu kommt, dass die Arbeit als Pflegekraft wenig Anerkennung erfährt, weder im Haus selbst noch von der Gesellschaft oder finanziell – das Gehalt ist niedrig, Feedbackgespräche und Weiterbildungsangebote sind selten. Dafür sind Überstunden und kurzfristige Änderungen am Dienstplan in der Pflege an der Tagesordnung.
All diese Faktoren führen dazu, dass Pflegekräfte, die diesen Beruf eigentlich einmal aus Überzeugung gewählt haben, entweder in Teilzeit ausweichen oder ganz aufgeben und in ein anderes Berufsfeld wechseln.
Demographischer Wandel verschlechtert die Pflegesituation weiter
Menschen in unserer Gesellschaft leben immer länger. Das verschärft den Personalmangel in der Pflege in mehrfacher Hinsicht.
Fehlender Nachwuchs
Es gibt nicht genug Auszubildende und Absolvierende in Pflegeberufen, um die Kräfte zu ersetzen, die in absehbarer Zeit in Rente gehen werden – geschweige denn, um den steigenden Bedarf zu decken, der aufgrund der immer höheren Lebenserwartung entsteht.
Längere Lebenszeit = mehr Pflegebedarf
Es ist eine gute Nachricht, dass die Lebenserwartung steigt. Allerdings steigt damit auch der Bedarf an Pflege, denn mit den Jahren nehmen auch chronische Krankheiten zu. Das bedeutet, dass Menschen länger pflegebedürftig sind und die Anforderungen an die Qualität der Pflege steigen.
In der Altersgruppe der über 75-jährigen sind rund 11 Prozent pflegebedürftig, während es bei den über 90-jährigen über 70 Prozent sind. Ende 2021 gab es in Deutschland rund 5 Millionen pflegebedürftige Menschen und damit rund doppelt so viele wie noch zu Beginn des Jahrtausends.
Auswirkungen des Personalmangels in der Pflege
Der Personalmangel in den Pflegeberufen ist längst zum Teufelskreis geworden: Schlechte Bedingungen führen dazu, dass Fachkräfte den Beruf an den Nagel hängen und Nachwuchs sich für andere Ausbildungen entscheidet. Das verschlechtert die Situation derer, die noch pflegen und führt dazu, dass weitere Fachkräfte sich gegen ihren Beruf entscheiden und aufgeben.
Negativspirale: Arbeitsbedingungen in der Pflege verschlechtern sich weiter
Je weniger Pflegekräfte es gibt, umso mehr verdichtet sich die Arbeit für die, die weiter im Beruf bleiben: mehr Stress, Zeitdruck und Überstunden führen zu emotional belastenden Situationen sowohl im Dienst als auch für das Privatleben und schlagen auf die eigene Gesundheit der Pflegenden.
Eine DGB-Studie von 2018 hat ergeben, dass 75 Prozent der Pflegefachkräfte davon ausgehen, ihren Beruf nicht bis zur Rente ausüben zu können. Arbeitgebende erwarten häufig, dass Beschäftigte auch außerhalb der Arbeitszeit für sie erreichbar sind und kurzfristig “aus dem frei” für Dienste einspringen können.
Da die Pflegekräfte die Situation auf ihren Stationen kennen und weder Kolleg:innen noch Patient:innen hängen lassen wollen oder können, führt das dazu, dass immer mehr Tage am Stück gearbeitet wird und Erholungsphasen unterbrochen werden.
Sinkende Qualität des Pflegeangebots
Ebenfalls in der DGB-Studie geben rund 76 Prozent der Befragten an, ihre Arbeit sehr häufig unter Zeitdruck erledigen zu müssen. Das führt dazu, dass wichtige Aufgaben unerledigt bleiben oder nicht mit der nötigen Sorgfalt erledigt werden können.
46 Prozent der Beschäftigten geben an, dass sie sehr häufig oder oft Abstriche in der Qualität ihrer Arbeit machen müssen, um das Pensum zu schaffen. Das wiederum steigert die emotionale Belastung für die Pflegekräfte, die wissen, welche Folgen mangelnde Achtsamkeit haben kann.
Mehr offene Stellen als Bewerbende
Ein Mangel an Pflegekräften und steigender Bedarf führen dazu, dass es immer schwieriger ist, offene Stellen zu besetzen. Eine Position für eine Altenpflegefachkraft bleibt im Bundesdurchschnitt rund 212 Tage unbesetzt, in der Krankenpflege sind es sogar bis zu 240 Tage – etwa acht Monate.
Personalmangel existenzbedrohend für die Häuser
Ab einem gewissen Punkt ist es nicht mehr möglich, unbesetzte Stellen mit vorhandenen Personalkapazitäten abzufangen. Bereits heute nehmen Pflegedienste in einigen Regionen Deutschlands keine neuen Patienten mehr auf; andere sehen sich gar gezwungen, bestehende Verträge zu kündigen.
Der Deutsche Pflegeverband erklärte im Mai 2023, dass eine Befragung unter den Mitgliedsunternehmen ergeben habe, dass sich 70 Prozent Sorgen um ihre finanzielle Existenz machen würden. Wenn wegen des Fachkräftemangels Betten nicht belegt oder Patienten nicht angenommen werden könnten, ist ab einem gewissen Punkt der Betrieb nicht mehr wirtschaftlich möglich. Wird dann das ganze Haus geschlossen, verschärft sich die Situation noch weiter.
Personalmangel in der Pflege: Lösungsvorschläge und Ideen
Ebenso, wie die Ursachen für den Pflegenotstand vielschichtig sind, gibt es viele Lösungsansätze für das Problem. Auf gesellschaftlicher Ebene ist die Politik gefragt, aber auch in den einzelnen Häusern bzw. Trägern und bis hin zu den Pflegeteams gibt es Möglichkeiten, dem Personalmangel zu begegnen.
Integration ausländischen Pflegepersonals
Das Recruiting von Fachkräften außerhalb Deutschlands wird immer wieder beworben, gestaltet sich in der Praxis allerdings bisher als schwierig. Zwar hat sich der Anteil der Pflegekräfte mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit von acht Prozent in 2017 auf 14 Prozent in 2022 nahezu verdoppelt und liegt inzwischen bei rund 244.000 Personen (2022).
Allerdings kämpfen die Pflegekräfte hier mit der Sprachbarriere, um die Anerkennung ihrer Abschlüsse und ganz einfach um Anerkennung: Gerade Pfleger und Krankenschwestern aus dem nicht-EU-Ausland sind es in ihrer Heimat gewöhnt, ein höheres Ansehen zu genießen und mehr ärztliche Aufgaben zu übernehmen. Dürfen sie das in Deutschland nicht mehr tun, erleben sie die Arbeit in Deutschland als Rückschritt, Frustration ist die Folge. Das spricht sich auch in den Heimatländern herum: Nur 17 Prozent der in Deutschland arbeitenden philippinischen Pflegekräfte würden befreundeten Kolleg*innen auf den Philippinen ihren Job empfehlen.
Hier wird der Gesetzgeber aktuell bereits aktiv. Teil des Gesetzes zur Stärkung der Pflege, das 2023 auf den Weg gebracht wurde, sieht vor, dass Anerkennungsverfahren für ausländische Berufsabschlüsse vereinheitlicht und vereinfacht werden.
Akademisierung des Pflegeberufs und verbesserte Karrieremöglichkeiten
Ein weiterer Bereich des Gesetzentwurfs sieht vor, dass aus der klassischen Ausbildung zu Gesundheits- und Krankenpflegenden ein duales Studium wird, das den Absolvierenden bessere Berufsaussichten verspricht.
Andere EU-Staaten haben damit bereits gute Erfahrungen gemacht. Des Weiteren sollen Hürden zwischen den Bundesländern abgebaut werden, so dass es bundesweit einheitliche Strukturen in der Pflegeausbildung gibt.
Oft übersehenes Potenzial sind die vielen Teilzeitkräfte in der Branche sowie die Fachkräfte, die wegen schlechter Arbeitsbedingungen den Bereich verlassen haben. Die Pflege ist ein Berufszweig, dessen Beschäftigte besonders viel Sinn und Erfüllung in der Arbeit suchen.
Gelingt es, die positiven Aspekte des Berufsbilds zu stärken und Pflegekräften die Gelegenheit zu geben, auch wirklich zu pflegen und nicht nur von Patient:in zu Patient:in zu hetzen, könnten sich viele Fachkräfte vorstellen, wieder in ihren Beruf zurückzukehren oder die Stunden aufzustocken. Das ergab die Studie “Ich pflege wieder, wenn…” der Hans-Böckler-Stiftung.
Unvorhergesehene Änderung in den Schichten? Kommunizieren Sie direkt mit Ihrem Pflegeteam.
Verbesserte Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte
Insbesondere in den Bereichen Mitarbeiterführung, Digitalisierung und Weiterbildung haben Arbeitgebende die Gelegenheit, selbst bessere Bedingungen zu schaffen und Fachkräfte an ihr Haus zu binden.
Der erste Schritt ist ganz einfach, das Team selbst zu fragen, was es am meisten belastet und welche Sofortmaßnahmen es sich wünschen würde, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Digitale Tools ermöglichen schnelle und einfache Mitarbeiterbefragungen auch für dezentral eingesetzte Fachkräfte.
Ein angenehmer kollegialer Umgangston und regelmäßige Feedbackgespräche sowie Karrierepläne können die Mitarbeiterzufriedenheit bereits deutlich steigern. Besonders wichtig: verlässliche Dienstpläne. Springerpools und Bereitschaftsdienste verhindern, dass Pflegekräfte spontan aus der Freizeit Dienste übernehmen müssen und schaffen mehr Planbarkeit.
Gute Pflege braucht gute Bedingungen, denn die Forschung hat gezeigt, dass eine rein quantitative Aufstockung des Personals keine Entlastung bringt, wenn sich nicht mindestens gleichzeitig auch die Arbeitsbedingungen verbessern. Nur wenn Mitarbeitende dauerhaft im Haus bleiben, gelingen die Senkung der Rekrutierungskosten und die Entlastung der Pflegeteams: wer weniger Personal verliert, muss auch weniger nachbesetzen.
Weniger Bürokratie und mehr Miteinander durch Digitalisierung der Pflege
Viele Aufgaben der Pflegekräfte, wie Dokumentation oder Medikamenten-Management können digitalisiert werden. Die gewonnene Zeit haben Pflegekräfte dann für die Aufgaben, die ihnen eigentlich wichtig sind: Die Arbeit am Patienten.
Mitarbeiter-Apps wie Beekeeper ermöglichen die Digitalisierung wiederkehrender Aufgaben über Workflows, die einfache und sichere Kommunikation untereinander und ermöglichen außerdem die Verwaltung von Dienstplänen, Schichttausch und Urlaubsanträgen.
Fazit
Der Personalmangel in der Pflege ist inzwischen zum existenzbedrohenden Problem für Krankenhäuser, Altenheime und Pflegedienste geworden. Mit verbesserten Arbeitsbedingungen und gezielter Digitalisierung ergeben sich allerdings für Pflegeeinrichtungen durchaus Möglichkeiten, die Zufriedenheit der vorhandenen Mitarbeitenden zu verbessern und diese ans Haus zu binden.
Über den Autor
Doris Beck